Tagungsbericht „Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung: What’s next?!“ vom 28.-29.09.2022 in Nürnberg
Tagungsbericht „Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung: What’s next?!“ vom 28.-29.09.2022 in Nürnberg
Abschlusstagung der BMBF-Förderrichtlinie Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung
Lisa Birnbaum
Am 28. und 29. September 2022 fand in Nürnberg die Abschlusstagung zur Förderrichtlinie zur Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung statt, welche vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Dort trafen sich Forschende aus den geförderten Projekte, Mitarbeitende aus dem Referat kulturelle Bildung des BMBF und Mitarbeitende vom Projektträger DLR sowie weitere Forschende aus dem Feld der kulturellen Bildung in Nürnberg.
Hier finden Sie das Tagungsprogramm (inklusive Workshopbeschreibungen) zur Nachlese.
Zur Notwendigkeit von Evidenz in der kulturellen Bildung
Als Keynote-Speaker beleuchtete Johannes Hasselhorn, Professor an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main, was empirische Evidenz ist, wofür sie notwendig ist und wie sich die Qualität vorliegender Evidenz im Feld der kulturellen Bildung einschätzen lässt: Evidenz ist notwendig, um bestmögliche Informationen für Entscheidungen nutzen zu können. Die Qualität von Evidenz lässt sich mit der GRADE-Methodik bestimmen. Hier wird gut geplanten experimentellen Studien höhere Qualität zugesprochen als beispielsweise Korrelationsstudien. In der kulturellen Bildung und anderen benachbarten sozialwissenschaftlichen Feldern sind Experimente häufig schwer durchführbar. In manchen Fällen stellen gute quasi-experimentelle Studien eine Alternative dar. Es wurde diskutiert, welche Möglichkeiten sich in der Forschung zur kulturelle Bildung für differenziertere theoretische Ansätze und methodisch stringentere Studien eröffnen.
What’s next – Perspektiven für die Forschung zu kultureller Bildung in postdigitalen Gesellschaften
Das Ende von Projekten ist meist zugleich Startschuss für neue Projektideen. Insofern stellt sich die Frage, welche Perspektiven sich ausgehend von den Projektergebnissen aus den letzten Jahren für die weitere Forschung zur kulturellen Bildung in postdigitalen Gesellschaften ergeben? Dieser Thematik stellten sich auf dem von Prasanna Oommen-Hirschberg moderierten Podium Anne Bergner (Professorin für Grundlagen des Designs und Prototyping Akademie für Bildende Künste Stuttgart), Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss (Professorin für Kulturelle Bildung Universität Hildesheim und Direktorin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel), Benjamin Jörissen und Stephan Kröner (Professoren am Department für Pädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Leiter des Metavorhabens zur Förderrichtlinie).
Zielvorstellungen von kultureller Bildung
Die Diskussion zur kulturellen Bildung ist außerhalb der curricularen Kernfächer und häufig im non-formalen Bereich verortet. Aufgrund des starken Fokus auf der formalen Bildung sind die Praxis der kulturellen Bildung – und in der Folge auch die darauf bezogene Forschung – einem stetigen Legitimationsdruck ausgesetzt. Belege für Wirkungen von kulturellen Bildungsangeboten werden immer wieder gefordert. Vor diesem Hintergrund betonte Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, dass sich Ansprüche an die Bildungspraxen verändert hätten und es daher notwendig sei, den Umgang mit Praxen und Medien zu lernen. Benjamin Jörissen ergänzte, dass neben den Praxen auch Fragen zu Zugängen und Wissensanerkennung Thema der Forschung zur kulturellen Bildung sein sollten. Beispielsweise sollte auch kulturelles Erbe als Gegenstandsbereich kultureller Bildung verstanden werden. Stephan Kröner vertrat die Ansicht, dass es notwendig sei, Qualität und Erfolg von kultureller Bildungsarbeit messbar zu machen. Zugleich betonte er, dass auch informelle Aspekte kultureller Bildung stärker Beachtung finden sollten und dass stärker in den Blick genommen werden sollte, wie Menschen im Rahmen kultureller Bildung ihre Umwelt aktiv gestalten können. Anne Bergner ergänzte aus ihrer gestalterischen Perspektive, dass kulturelle Bildung sich oft auch dort ereigne, wo man es auf den ersten Blick nicht erwarte: „Häufig passieren Kultur und Kunst Bottom-up“. Kulturelle Bildung finde sich daher an vielen Orten und sei laut Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss dann gut, wenn sie Menschen „in Bewegung“ bringe.
Kulturelle Bildung sei als zweckfrei zu verstehen, betonte Isabelle Reinwand-Weiss; Sie habe nicht schon von Beginn an ein spezifisches Bildungsziel vor Augen, sondern eröffne vielmehr einen ästhetischen Raum, der es Individuen ermögliche, sich frei zu bewegen und zu entwickeln. Stephan Kröner entgegnete dem, dass kulturelle Bildung zwar zweckfrei sein könne, aber nicht müsse. Dem pflichtete Anne Bergner mit Blick auf ihre Profession bei. In Architektur und Design bewege man sich stets im Spannungsfeld von Ästhetik und Funktion.
Im Rahmen der Diskussion zu den Zielvorstellungen von kultureller Bildung kam auch die Frage auf, welche Implikationen sich für die Forschungsförderung in diesem Bereich ergeben. Benjamin Jörissen sah dazu zwei Fragen: „Wie schaut Forschung und wonach?“ Aktuell gebe es Entwicklungen dahin, die Praxis frühzeitig und auf Augenhöhe in Forschungsprozesse einzubinden. Gute Praxis sei gewinnbringend für Forschung. Eine Erkenntnis aus der Förderrichtlinie zur Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung sei darauf bezogen, welche Gegenstandsbereiche in den Projekten der Förderrichtlinie untersucht worden seien und welche nicht. Das gebe einen ersten Einblick, was eine Megatransformation wie die Digitalisierung in einem Feld und mit einem Feld mache. Ganz konkret bedeute dies, wie Stephan Kröner ergänzte, dass anhand der Forschungssynthesen des Metavorhabens deutlich werde, welche Bereiche in der Förderrichtlinie noch nicht bzw. nur am Rande abgedeckt wurden. Zu nennen seien hier Videospiele, virtuelle Realitäten oder digitales Making. Derartige, kulturell hochrelevante Phänomene würden in – oft eher technisch ausgerichteten – Nachbardisziplinen schon stärker untersucht und sollten künftig verstärkt auch aus Perspektive der kulturellen Bildung in den Blick genommen werden.
Den Ausführungen von Benjamin Jörissen zufolge geht es bei kultureller Bildung letzten Endes darum, gesellschaftliche Systeme zukunftsfähig zu gestalten. Von kultureller Bildung sollten die Teilnehmenden ebenso profitieren wie die Gesellschaft als Ganzes. Davon ausgehend stellt sich die Frage, was mit denen ist, die nicht an Angeboten kultureller Bildung teilnehmen. Anne Bergner erläutert, dass es darum gehe sich als Mensch mit seinen Wünschen und Möglichkeiten zu realisieren – und das könne über verschiedene Zugänge erfolgen, welche man im Blick haben müsse. In diesem Sinne sollte laut Stephan Kröner zumindest jeder Person die Möglichkeit eröffnet werden, beispielsweise ein Instrument spielen zu lernen. Ob die Möglichkeit angenommen werde oder nicht, sei demgegenüber nachgeordnet.
Wie sehen Forschungsstrategien aus, die man im Kontext der Kulturellen Bildung verfolgt?
Im Metavorhaben der Förderrichtlinie wurde sowohl quantitativ als auch qualitativ-empirisch gearbeitet. Die Verzahnung beider Zugänge erfolgte im regelmäßigen interdisziplinären Austausch. Benjamin Jörissen berichtet, dass dieser Prozess äußerst interessant gewesen sei: Das wechselseitige Verständnis von Denkweisen in verschiedenen Disziplinen habe sich im Projektverlauf stetig weiterentwickelt. Man habe gelernt zu verstehen, wie andere auf ein Feld blicken. Dieser interdisziplinäre Raum sei sehr wichtig, um Begriffe und methodische Vorgehensweisen auszudiskutieren. Des Weiteren könne Forschung Themenbereiche für die Praxis eröffnen, wenn sie Gegenstandsbereiche wie Online-Rezensionen oder Gaming in den Blick nehme, die bislang von der kulturellen Bildung noch wenig bespielt würden. Für den Austausch zwischen und Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis sei es wesentlich, dass Hierarchien abgebaut würden und Wissenstransfer auch von Praxis in Wissenschaft verstanden werde (und nicht nur andersherum), betonte Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss. Ein Erfolgsfaktor dafür sei Benjamin Jörissen zufolge, dass die Fragestellung für ein Projekt schon mit der Praxis entwickelt werde. Dies könne über den gesamten Forschungsprozess hinweg erfolgen, sofern ko-kreative Ansätze wie Citizen Science verfolgt würden, ergänzte Stephan Kröner. Die Entwicklung von Formaten, die einen für Forschende sowie Praktikerinnen und Praktiker gleichermaßen interessanten und anregenden Austausch ermöglichen, steht noch am Anfang. Hier sei weitere Entwicklung notwendig, da man bislang entweder die eine oder die andere Seite stärker erreiche, berichtete Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss. Anne Bergner ergänzte, dass dies gelingen könne, wenn Einverständnis dazu erreicht werde, dass man sich gegenseitig unterstütze, um dann gemeinsam die Förderung für ein Projekt einzuwerben. Praxisentwicklungen gelte es modular aufzubauen, so dass Praktikerinnen und Praktiker mit unterschiedlichen Zeitressourcen das auch annähmen, fügt Benjamin Jörissen hinzu. Ein weiterer Aspekt seien der Ausbau und die Nutzung von Netzwerken.
Chancen der Digitalisierung für die Forschung zur kulturellen Bildung
Digitalisierung berge für die Forschung zur kulturellen Bildung ähnlich große Chancen wie in anderen Bereichen, sagt Anne Bergner. Dies könne dadurch bedingt sein, dass Digitalität ein generationales Phänomen sei, ergänzte Benjamin Jörissen ein. In der Praxis werde immer wieder sichtbar, dass digitale Tools angeschafft würden, dann jedoch in den Schränken schlummerten und nicht wirklich Einzug in den Alltag fänden, berichtete Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss. Damit digitale Tools in die Kulturvermittlung einbezogen würden, seien Lernprozesse von Individuen und Organisationen notwendig.
Und schließlich bleibe es nicht bei der Megatransformation Digitalisierung, erläuterte Benjamin Jörissen, sondern es gebe weitere Transformationsthemen in der kulturellen Bildung. Er führte in diesem Zusammenhang Postmigration, Postkolonialisierung und Nachhaltigkeit an. Beispielsweise verfügten in der Praxis zur kulturellen Bildung nicht hinreichend viele Akteure über Expertise im Bereich Nachhaltigkeit, berichtete Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss.
Zum Schluss richtete die Moderatorin Prasanna Oommen-Hirschberg jeweils eine Frage an jeden Podiumsteilnehmenden
An Benjamin Jörissen und Stephan Kröner als Projektleitung des Metaprojekts: Welche Schwerpunkte würden Sie im Falle einer nächsten Förderphase im Metavorhaben „Transformation in der Kulturellen Bildung“ setzen?
Benjamin Jörissen betonte, dass das Thema Postdigitalität noch stärker „kommen“ müsse. Vor allem sollte es gelingen, künstliche Intelligenz besser zu verstehen und auch forschungsmethodisch nutzbar zu machen. Stephan Kröner ergänzte, dass für erfolgreiche Forschung ein inspirierendes Umfeld förderlich sei. Um ein solches Umfeld zu gestalten, sei eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit von hilfreich, Akteuren in Metavorhaben und einzelnen Projekten hilfreich.
An Anne Bergner: Ein Blick in die Zukunft: Wie haben sich Förderkriterien hinsichtlich Fehlertoleranz und Ergebnisoffenheit in einer idealen Welt bis 2030 verändert?
Anne Bergner betonte, dass Forschende auch Freiraum und Ressourcen benötigten, um Neues ausprobieren zu können. Beispielsweise sollten Formate entwickelt werden, um finanzielle Mittel ohne größeren Verwaltungsaufwand zur Verfügung stehen, damit man einfacher etwas voranbringen kann.
Welche Weiterbildungen tun not, um das Feld der kulturellen Bildung im postdigitalen Zeitalter weiterzuentwickeln?
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss antwortete, es sei wichtig Weiterbildungen, die postdigitale Praktiken einüben, nicht nur theoretisch zu vermitteln, damit sie als pädagogische Praxen Wirklichkeiten entfalten können. Praktikerinnen und Praktiker sollten einerseits bewusst entscheiden, in welchen Netzwerken sie sich (nicht) bewegen. Zugleich sei es notwendig, dass sie so befähigt sein, dass sie dies auch kompetent tun könnten.
Aktuelle Arbeiten zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung
In der Postersession wurden aktuelle Arbeiten aus der Förderrichtlinie und darüber hinaus präsentiert und diskutiert. Thematisch deckten die Arbeiten ein sehr breites Spektrum der kulturellen Bildung ab:
- Lewalter, Moser, Novak & Schwan (Technische Universität München): Netzwerkarbeit zu informellen Lernorten im Spannungsfeld von Authentizität und Digitalität
- Lotz & Bergner (Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart): Niederschwelliger Zugang zu Technik für künstlerische Studiengänge durch vorstrukturierte Plattformen
- Smolarczyk, Uhing & Kröner (Hochschule Rhein-Waal und Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg). EnvironMINT: Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Kindern, Eltern, Schulen und FabLabs für nachhaltige MINT-bezogene Maker-Aktivitäten
- Zühlke, Rittershaus, Jenett & Steinberg (Goethe-Universität Frankfurt a.M., Hochschule Mainz, Deutsche Sporthochschule Köln): #digitanz – wie verändern sich Lehr- und Lernverhalten durch die digitale Unterstützung?
- Rittner, Koch, Zühlke & Steinberg (Goethe-Universität Frankfurt a.M., Hochschule Mainz, Deutsche Sporthochschule Köln): #digitanz – Vorstellung der App lite.digitanz.de für den Einsatz in der Tanzvermittlung
- Flasche, Sprethuber & Jörissen(Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): öffentliche Bibliotheken als Ankerstrukturen für innovative Entwicklung ländlicher Kulturlandschafen und für digitale Teilhabe
- Birnbaum, Wilhelm, Chilla & Kröner (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Kultur als Aspekt von Ortsbindung zu ländlichen Räumen in Zeiten der Digitalisierung
- Graf, Reinwand-Weiss, Knackstedt, Heid & Roßkopf (Universität Hildesheim): Multimethodische Analyse rezensiver Texte zu Literatur und Bildender Kunst. Das Projekt Rez@Kultur
- Christ, Birnbaum, Smolarczyk & Kröner (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Verortung der Förderrichtlinie DiKuBi und ihrer Vorhaben im Kontext der internationalen Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung, Projekt: DiKuBi-Meta TP2
- Jörissen & Krämer (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Digitalisierung in der Kulturellen Bildung. Erträge gegenwärtiger DiKuBi-Forschung in qualitativ-metatheoretischer Perspektive
- Pasuchin (Mozarteum Salzburg): Historische Einordnung der qualitativen (Praxis-)Forschung
Fazit
Die Tagung bot – wie schon die DiKuBi-Förderrichtlinie – ein inspirierendes Umfeld für Forschende in der kulturellen Bildung. Es ergaben sich vielfältige Perspektiven für die Forschung im Feld der kulturellen Bildung Auf inhaltlicher Seite wurde deutlich, dass vor dem Hintergrund digitalisierungsbedingter gesellschaftlicher Transformationen einige Gegenstandsbereiche mit hoher Relevanz für die (digitale) kulturelle Bildung bislang von Akteuren auf diesem Feld wenig beforscht werden. Aus methodischer Perspektive sollte ausgehend von differenzierten theoretischen Konzepten das Potenzial empirischer Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung konsequent genutzt werden. Dementsprechend sollte darauf hingearbeitet werden, ausgehend von differenzierten Theorien und aufbauend auf methodisch stringente qualitativ- und quantitativ-empirischer Studien stichhaltige Evidenz und praxistaugliche Interventionskonzepte zu entwickeln.